(English version below)
Betrachtet man die heutige Landschaft um Tell el-Dab’a, so deutet nur wenig darauf hin, dass sich hier einst eine antike Stadtanlage erstreckte. Das antike Gelände ist weitestgehend verschwunden und muss anhand von Bodenbohrungen rekonstruiert werden. Zum einen bietet dies uns jüngeren Grabungsmitarbeitern die Gelegenheit, die verschiedenen Methoden der magnetischen Prospektion kennenzulernen. Zum anderen suchten wir auf einer kleinen Expedition in die Umgebung nach sichtbaren Überbleibseln der einstigen Deltametropole.
Ein erster Hinweis auf antike Siedlungstätigkeit erhebt sich direkt vor unserem Grabungshaus: der für den modernen Ort Tell el-Dab’a namensgebende „Tell“ sowie ein weiterer kleiner Tell mit einem modernen Friedhof. Das arabische Wort bedeutet „Ruinenhügel“ und bezeichnet eine Erhebung, die dadurch entstand, dass Siedlungen über einen längeren Zeitraum an derselben Stelle immer wieder errichtet wurden. Die Schuttschichten zerstörter Ansiedlungen (Strata) formten allmählich einen Hügel.
Um uns einen besseren Überblick über die moderne Landschaft zu verschaffen, bestiegen wir in der näheren Umgebung einen ausgedienten Wasserturm. Abgesehen von den erwähnten Tells erscheint das heutige Gelände weitestgehend flach und besteht durchwegs aus Feldern und modernen Siedlungen. Ein Grossteil der Tells wurde während des 19. Jahrhunderts abgetragen, um den Boden landwirtschaftlich zu nutzen. Die antiken Siedlungsanlagen, Friedhöfe, Tempel und Paläste liegen versteckt unter der intensiv genutzten Deltalandschaft.

Blick vom Wasserturm in Richtung Tell el-Dab’a / View from the water tower in the direction of Tell el-Dab’a
Unser Fundplatz lag ursprünglich am östlichsten der Deltaarme, dem Pelusischen Nilarm. Dieser war bis in die 20. Dynastie eine der wichtigsten Wasserstrassen für den Handel nach Vorderasien. Einige Fahrminuten entfernt überzeugten wir uns selbst, was davon noch übrig geblieben ist: ein unauffälliger Nebenarm in der Ebene. Kein Vergleich zu den Wassermassen, die er zu pharaonischer Zeit mit sich führte.
Um das Gelände archäologisch zu erforschen, ist es entscheidend, den Verlauf des antiken Nilarms zu rekonstruieren. Dazu kommen verschiedene Methoden der geophysikalischen Prospektion zum Einsatz: Magnetometrie, elektromagnetische Widerstandsmessung und Tiefbohrungen.

Karte der rekonstruierten Landschaft von Avaris / Map of the reconstructed landscape of Avaris (Q: http://www.oeai.at)
In der Antike zeichnete sich der Nil dadurch aus, dass er in einer jährlich wiederkehrenden Überschwemmung fruchtbaren Nilschlamm mitführte. Die Rekonstruktion der geographischen Umgebung zeigt, dass die Siedlungsflächen auf mehreren überschwemmungssicheren Sandgeziras (Hügel) angelegt wurden, die trockenen Baugrund boten.
Mit der Verlagerung der Hauptstadt am Ende der 20. Dynastie nach Tanis war der Transport zahlreicher Monumente aus Pi-Ramesse / Avaris verbunden. Daneben dienten diese gerade im Stein-armen Delta als Steinbruch. Dennoch lassen sich noch wenige Hinweise in der näheren Umgebung aufspüren.
Im Dorf Ezbet Helmi liegen noch heute gut sichtbar drei Granitblöcke, die mit zwei Königsnamen aus dem Mittleren Reich beschriftet sind: Amenemhet I. und Sesostris III. Diese bildeten ursprünglich ein Tor, wurden aber vermutlich bereits in der 18. Dynastie – wie viele andere Bauteile – als Spolien wiederverwendet. Als das ÖAI Ausgrabungen durchführte, um die Granitblöcke näher zu bestimmen, entdeckte man unter anderem eine Palastanlage aus dem Neuen Reich mit minoischen Wandmalereien.
Etwas mehr Sucharbeit erforderte ein Abstecher nach Qantir. In den dortigen Maisfeldern spürten wir zwei Hinterlassenschaften auf, die noch heute vom gewaltigen Umzug der Steinmonumente nach Tanis zeugen: die Füsse einer Statue des Ramses II. sowie Arm und Torso einer Statue seiner Gemahlin Nefertari. Übrigens fehlen bei einigen Statuen in Tanis tatsächlich die Basen und Füsse aus Stein, welche dann ersatzweise aus Schlamm geformt wurden.
Insgesamt wurde erst eine kleine Fläche des einstigen Avaris / Pi-Ramesse untersucht. Wie die Magnetometermessungen zeigen, hält der Boden noch viel archäologisches Material für zukünftige Ausgrabungen bereit.
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English version:
Avaris, past and present
Looking at the current landscape of Tell el-Dab’a there is little evidence that there was once an ancient city there. The ancient site has largely disappeared and must be reconstructed from geophysical surveys. This provides the younger excavation employees with the opportunity to learn about different methods of geomagnetic survey. We went on an excursion into the local area to try to find visible remains of the former delta metropolis.
A first indication of ancient settlement activity rises directly in front of our excavation house: the eponymous „tell“ of Tell el-Dab’a, and another small tell on which is a modern cemetery. The Arabic term is usually used for a mound of archaeological remains and describes a high area that has arisen due to the many generations of people living and rebuilding their houses on the same spot. The layers of debris from the destroyed settlements (strata) gradually form a hill.
To get a general idea of the modern landscape, we ascended a disused water tower in the vincinity. Apart from the „tells“ already mentioned, the terrain appears largely flat and consists of fields and modern settlements. Most tells were removed during the 19th century in order to use the soil for agricultural purposes. The ancient settlements, cemeteries, temples and palaces lie hidden beneath the intensively-used delta landscape.
Our archaeological site was originally located at the most easterly of the delta arms, the Pelusiac branch of the Nile. Until the 20th dynasty this was one of the most important water routes for trade to the Middle East. A few minutes‘ drive away we saw what is left of it: an unremarkable channel in the flat. It is nothing compared to the quantity of water that the river carried in pharaonic times.

Grabungsmitarbeiter auf Exkursion in die Umgebung / Excavation employees on an excursion into the local area
To explore the archaeological site it is crucial to reconstruct the ancient river channels. To do this various methods of geophysical survey are used: magnetometry, electromagnetic resistance measurements and deep core drilling.
In ancient times, the Nile was characterised by an annual flood that carried fertile Nile mud. The reconstruction of the geophysical environment shows that the settlements were built on several flood-safe sand geziras (hills) that offered dry ground during the flood.
The transport of numerous monuments from Pi-Ramesses / Avaris was connected with the relocation of the capital to Tanis at the end of the 20th dynasty. In addition, these sites were used as quarries in the stone-poor delta. Nevertheless, a few traces of this activity can be detected in the vicinity.
In the village Ezbet Helmi three granite blocks are still visible. These are inscribed with two royal names from the Middle Kingdom: Amenemhat I and Senusret III. They originally formed a gate, but were probably already reused as a spolia in the 18th dynasty. As the ÖAI carried out excavations to better understand the granite blocks, among other things, a palace complex was discovered with Minoan wall paintings dating from the New Kingdom.
Further investigations required a detour to Qantir. In the local corn fields we saw remains which still bear witness to the large scale movement of stone monuments to Tanis: the feet of a statue of Ramses II, and the arm and torso of a statue of his wife Nefertari. In fact, the bases and feet of some statues in Tanis are missing and were replaced with models formed of mud.
Overall, only a small area of the former Avaris / Pi-Ramesses has been investigated. As the magnetometry results show, the soil still holds a lot of archaeological material for future excavations.